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BABYLON
Die Diskussion, die sich entspinnt, ist polyphon und mühsam, da der eine Dichter des Deutschen, der andere des Inuit sowie ein großer Teil der Lokalbesetzung - nämlich das Stammpublikum - keiner der beiden Sprachen in genügendem Maße mächtig ist, um den jeweiligen Argumenten und Perspektiven Nachdruck verleihen zu können beziehungsweise sie überhaupt zu verstehen. Man fuchtelt mit Armen und Händen, doch geraten auch solche Kommunikationsversuche nicht schlüssig. Der Dichter, den Umgang mit süddeutschen Brauereierzeugnissen nicht gewohnt, beschließt endlich, dem anschwellenden Wirrwarr gurgelnder Kehllaute, die ihm vollkommen unverständlich bleiben, aber zunehmend bedrohlich erscheinen, Einhalt zu gebieten, indem er einen Stuhl hinter den Tresen wirft und dabei den bis dahin unbeteiligten Wirt zwar um Handbreite verfehlt, jedoch seine Kaffeemaschine schlagartig außer Betrieb setzt und ein halbes Dutzend von den unersetzlichen Stammtischseideln in einen Haufen Keramikscherben verwandelt. Das, findet Herr Reithofer hinterher, sei der Tropfen gewesen, der das Faß zum Überlaufen brachte. Über den weiteren Verlauf der Ereignisse ist wenig Belastbares zu ergründen. Die von Anwohnern mit der Meldung einer ganzen Reihe von Gasexplosionen oder etwas ähnlichem herbeigerufene Polizei kann nicht einmal ergründen, wer Täter, Opfer und Rädelsführer ist, geschweige denn worum es geht. Festgestellt wird immerhin, daß sich der Sachschaden auf etwa 14.000 Euro beläuft, zuzüglich einer etwas undurchsichtigen Forderung des Dichters Achenbach von 2.000 Euro wegen "Geschäftsschädigung". Er sei, wird er später vor Gericht anmelden, um eine Gage in noch nicht verhandelter Höhe gebracht, von einem herabfallenden "Löwenbräu"-Blechschild am Kopf verletzt und durch die unselige Veranstaltung insgesamt in den völlig ungerechtfertigten Ruch der Fremdenfeindlichkeit gerückt worden. Die Lesungsreihe "Unsere nördlichen Nachbarn" wird noch an Ort und Stelle ersatzlos eingestellt; der Dichter Kubok gelangt durch einen bedauerlichen Irrtum in Abschiebehaft und wird, da mangels Sprachkenntnissen niemand in der Lage ist, seine Angaben zu prüfen oder zuzuordnen, nach Bosnien gebracht, wo sich seine Spur verliert. Laut Auskunft des geschädigten Wirtes von Herrn Reitingers Stammlokal kommt eine auf diplomatischem Weg dorthin geschickte Mahnung zur Begleichung wenn schon nicht der Schäden, dann doch wenigstens der erheblichen Zeche mit dem Vermerk "unbekannt" zurück. So etwas, meint Herr Reitinger, habe er von Anfang an vermutet. e-mail:michael sailer | impressum | © Michael Sailer |
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